Meconopsis

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Zukunftspläne

Die Symphonie kann beginnen

Zukunftspläne.

Es war mein intimster Wunsch gewesen, Förster zu werden. Herr Peitsch war dabei mein Vorbild und ich hatte mich vermeintlich gut ins Bild setzen lassen, welche Studien erfordert seien um mich um einen solchen Posten zu bewerben. Dummerweise stellte sich bei den vorausschauenden Berechnungen heraus, dass ich erst ein Jahr nach dem nächstens anfallenden Examen für Forstbeamte mit meiner Schule fertig sein konnte. Nach intensiver Beratung, kam mir eigentlich der Umstand dieses Umzuges nach Oberkorn in dem Sinne entgegen, dass ich jetzt nach Esch an der Alzette in die Schule fahren sollte und nicht den langen Umweg über Petingen oder den Bahnhof von Esch/Alzette. Jetzt konnte ich am Mittag nach Hause fahren zum Essen, während ich in der Stadt Luxemburg jeden Mittag bis zu meiner Tante „Meisch“ in den Rollingergrund gehen musste. Natürlich geschah dies zu Fuß und ich hatte auch mein Essen dabei, das nur aufgewärmt werden musste. Meine Mutter präparierte also mein Essen am Abend zuvor und das über 2 Jahre lang.
Jetzt bestand für mich die Möglichkeit von der Sixta Latein sofort auf die Quarta Modern zu wechseln, was mir erlaubte, ein Schuljahr zu überspringen. Mir fehlten aber die vorhergehenden zwei Jahre Englischstudium. Diese mir fehlenden Jahre nachholen und zugleich mich für das Examen auf Quarta (heute abgeschafft) vorbereiten war natürlich eine verlockende aber unerhörte Herausforderung. Meine Eltern zeigten sich bereit, mir Nachhilfestunden in Englisch zu bezahlen. Ich liess mich also darauf ein, diese nahezu unüberwindlich scheinende Barriere zu bezwingen. Ich begann ganz nebenbei auch massenweise englische Artikel in all möglichen Zeitungen und Zeitschriften zu lesen, so zum Beispiel „The Listener“ eineZeitung der BBC sowie „Life“ und andere. Meine Fortschritte waren merkwürdigerweise so gut, dass sich die ganze Familie darüber freuen konnte. Doch auch hier stiess ich auf einen mir keinesfalls wohl gesinnten Pädagogen, den man ausgeklammert hatte, um mir Nachhilfestunde zu geben. Er war mein Englischprofessor in der Klasse. Bei einem Aufsatz benutzte ich einmal eine Redewendung nebst ganz speziellem Wort der Umgangssprache.Der Professor aber sah dies nicht mit demselben geistigen Auge so, wie ich es verstanden hatte. Für mich hatte ich etwas Neues hinzugelernt und wollte es auch sogleich praktisch anwenden. Er aber wetterte um mich herum, als ob ich ein Verbrechen begangen hätte. Er hätte lange überlegen müssen, um sich zu erinnern, dass er diese Ausdrucksweise irgendwo bereits einmal gelesen hatte und ich mir keinesfalls hätte erlauben dürfen diese Expression zu gebrauchen, ohne dabei die Angabe zu machen, woher ich dieses Wort habe. Ich hätte also die Quellenangabe für das Zitat machen sollen. Prompt brummte er mir für meine angebliche Niedertracht, eigene vortreffliche Wortfindungen vorzutäuschen, eine Ungenügend auf. Ich konnte dabei aber den Mund nicht halten und erwiderte sehr aufgeregt, woher er denn seinen umfassenden Wortschatz habe und ob er auch bei jedem gebrauchten Wort erklären würde, in welchem Lexikon oder Buch er seine englische Sprache gelernt habe. Das hätte ich allerdings nicht sagen dürfen, denn als das Passageexamen über die Bühne ging, brummte er als Examinator mir ein mündliches Nachexamen im Englischen auf, dem ich aber glücklicherweise etwas Positives entgegen zu setzen hatte, den Fleiss eines Strebers. Während der Ferien hatte ich genügend Zeit weitere Nachhilfestunde zu nutzen undda der nächste Examinator eine andere Person war, schaffte ich es reibungslos in die nächste Klasse vor zu rücken. Drei Jahre Englisch in einem Jahr zu bewältigen war zwar ein gewagtes Unterfangen aber die Beweggründe zu dieser Leistungwaren bekannt. Ich wollte unbedingt in die Forstverwaltung.

Kaum hatte ich das Resultat des Nachexamen erfahren, pilgerte ich wiederum zu den hohen Stellen der Verwaltung in Luxemburg um meine Leistung vorzutragen und um in Erfahrung zu bringen, ob die Aufnahmebedingungen noch immer die gleichen wären. Ich erklärte alsdann, was ich geleistet hatte und kurz darauf sollte mich der Schlag treffen. Anstatt mir für den Erfolg zu gratulieren, teilte man mir mit, dass ich da eine grosse Dummheit gemacht habe und ich unbedingt ein Jahr auf der lateinischen Sektion hätte aufholen müssen. Staatsförster müssen das Latinum bestanden haben. Aus war der Traum einmal Förster zu werden, aus war die Lust am Pauken, aus war die konkrete Vorstellung eines zukünftigen Berufes. Ich stand vor dem totalen Zusammenbruch. Sogar mein Sinn für Realität zündete diesmal nicht. Die Flucht nach Kanada oder in die belgische Kolonie des Kongo begannen meine Gedanken mich immer mehr zu fesseln. Ich wollte diese mich umgebende Gesellschaft, die mir immer unfreundlicher, sogar feindlicher vorkam,ab sofort meiden. Aber die grossen Ereignisse folgten sich Schlag auf Schlag.

Kurz bevor wir nach Oberkorn umgezogen waren, hatten wir eine Einladung uns an der Doppelhochzeit von zwei Kindern der Schwester meiner Mutter im Rollingergrund teilzunehmen. Ein Sohn heiratete ein Mädchen aus Differdingen. Es war die Schwester meiner Frau Leonie. Leonie war damals erst vierzehn, als wir uns zum ersten Mal sahen.Erst später erfuhr ich, dass Siebereits beim ersten Anblick meiner Wenigkeitin mich verknallt war. Es war mir zwar der erstaunte Anblick ihres glänzenden Gesichtes aufgefallen, doch bot sich kaum eine Möglichkeit, eine Freundschaft auf zu bauen.

Ich hatte mein siebzehntes Lebensjahr gerade erreicht, als das Examen vorüber war. Zum Glück habe ich in Oberkorn, bei den Pfadfindern neue Freunde gefunden. Und das grosse Jamboree in Bad Ischl war in Vorbereitung. Mir wurde die Leitung der Pfadfindergruppe St.Etienne anvertraut neben dem obersten Chef. Ich wurde also als Scoutsmaster neben dem Sektionsmaster geführt.

Es begann eine sehr turbulente Zeit mit den Pfadfindern. Pfadfinderlager in Lieler waren selbstverständlich, dann Pfadfinderlager in Altrier, ein anderes in Eischen, dann zu Ausgrabungen und Zeltlager auf den Titelberg. Im Saal unter der Kirche in Oberkorn war unser Heim. Es wurden Theaterabende organisiert, Lagerfeuer, Burgbrennen und in der Freizeit stand in dem Saal ein zusammen gezimmerter Tisch zur Verfügung, worauf wir Tischtennis spielten, bis tief in die Nacht hinein. Nachtwanderungen, grosse Rallyes, Sternebeobachtungen, Wetterstationen und die Sammlung von Vogelnestern, Gehölzarten, Mineralien sowie Scherben von Römertöpfen und auch Spangen und Münzen nahmen an Umfang zu. Manchmal musste ich auch die ganz Kleinen unterhalten. Dies geschah meistens mit spannenden aus dem Stegreif improvisierten Seriengeschichten. Die Pfadfinder in Oberkorn hatten einen guten Zulauf und auch unser öffentliches Auftretenfand Anklang bei den Einwohnern. Besonderen Erfolg hatten unsere Theatervorstellungen und Lagerfeuer. Eines der mir am besten in Erinnerung gebliebenen Theaterstücke war: „Den Hupello“. Ich kann mich aber auch an lustige Theaterstücke erinnern und zwar an eines in welchem man mir einen Bart angeklebt hatte. Dabei musste ich ein doppeltes Butterbrot essen. Dummerweise hatten sich auf einmal einige Barthaare bei meinem Zubiss verfangen und da begannen die Lachsalven im Saal, die ich natürlich köstlich ausnutzte, um zu improvisieren. Immer mehr Haare lösten sich vom künstlichen Bart und ich hatte immer mehr Mühe diese Haare nicht zu verschlucken und dabei gelang es mir, angetrieben von dem Geheul der Zuschauer, die Situation weidlich zu verlängern. Ich sah in der ersten Stuhlreihe die Spielschulschwester Mathilde, die in einen Lachkrampf gefallen war und vor mir auf dem Saalboden lag, ohnmächtig sich innerlich gegen die lustige Abwicklungzu wehren. Noch Monate nach dieser lustigen Vorführung war die Szene den Leuten noch in Erinnerung und mir begegneten nur noch lächelnde Leute. Manche sprachen mich erneut darauf an und wollten wissen, ob ich den Bart denn nun wohl abgeschluckt hatte. Denkste!

Ich begann mich wieder wohlzufühlen, da ein moralischer Erfolg nach dem andern sich einstellte. Alsdann begann ich meine Tagebücher zu führen, worin ich fast jeden Tag Notizen machte. Das Erlebnis mit einem Mädchen zusammen zu sein war jedoch ständig wach. Ich dachte manchmal an das Mädchen, das ich bei der Hochzeit hatte, das zwar in der Nähe wohnte aber es entstand kein Kontakt.

Als ich dann auch noch die Pfarrbibliothek zu leiten begann, wobei mir der Pfarrer nahezu Narrenfreiheit liess, um neue Bücher einzukaufen, da wurde ich zum Bücherwurm und frass mich durch sämtliche Lagen der Literatur. Ich konnte den Lesern, und ihre Zahl nahm ständig zu, mehr oder weniger den Inhalt eines Buchesvermitteln. Ich konnte bestens beraten und diese Beschäftigung machte mir gewaltigen Spass, zumal da auch immer wieder Mädchen in meinem Alter auftauchten, die nicht nur schön waren und bei mir erotische Zuneigung hervorriefen. Nur war ich ganz besonders auf meiner Hut um eine feste Freundschaft zu schliessen. Ein Mädchen aus Oberkorn, das ich besonders nett und auch liebenswürdig fand, liess mich wissen, dass es ihr unmöglich sei, mich eventuell zu heiraten. Den wahren Grund hierzu konnte ich nie erfahren, aber ich nehme an, dass sie ein physische Behinderung hatte, was ihren Standpunkt erklären könnte. Ein anderes Mädchen war eine Schulkollegin. Manchmal wurde ich eingeladen, um ihr beim Verfassen ihrer Aufsätze zu helfen. Es war eine bessere Freundschaft aber keinesfalls eine Liebschaft. Es stellte sich dann auch heraus, dass sie während einer Stagezeit für ihren Beruf, in Antwerpen einem anderen Schulkollegen den Vorzug gegeben hatte.

Bei meinen täglichen Zugfahrten jedoch begegnete mir ein anderes Mädchen, dessen Ausstrahlung mich wiederum in seinen Bann zu ziehen wusste. Sie fand einen Platz nahezu auf allen Seiten meiner Tagebücher. Solange ich aber in der Schule war, wollte ich mich nicht mehr festlegen, denn ich hatte die absolut jedermanns Geist verwirrenden Auswirkungen einer Liebschaft kennengelernt. Der stärkste Wille kann wahrscheinlich nicht gegen diesen Naturtrieb ankommen. Genau in dieser Verfassung kann ich kaum noch einen freien Willen des befallenen Opfers erkennen, es sei denn, man lässt sich nicht von dieser Spinne umgarnen.

Die Sehnsucht steigerte sich demzufolge bis an den Tag, wo ich wusste, dass ich die Matura bestanden und das Schuldiplom in der Tasche hatte. Da erst nahm ich mir vor sie anzusprechen, denn das übliche freundliche „Moien“ und „Äddi“ sollten jetzt auf mehr Kontakt ausgeweitet werden.

Während dieser Zeit begann ich meine ersten Gedichte zu publizieren. In der Schule war ich als Schauspieler bekannt und wer sich die Gunst von Marcel Reuland, dem bekannten Schriftsteller und auch mein Professor in französischer Sprache, zu erobern verstand, der hatte wirklich einen guten Trumpf in der Hand.

So wurde ich schnell beim Professorenpersonal bekannt. Meine Schriften wurden überall mit grösserer Aufmerksamkeit gelesen. Ich fühlte mich bereits höher eingeschätzt als andere Zeitgenossen.

Bei Marcel Reuland hatte ich einen Stein im Brett. Eine der drolligsten Begebenheiten mit diesem Professor ereignete sich in der französischen Grammatikstunde. Er hatte eine Frage gestellt und riefmeinen Hintermann Armand Ronkar auf, ihm eine Antwort zu geben. Die Antwort, die Armand gab,war dummerweise so falsch, dass der gute Mann sofort von seinem Stuhl aufsprang und zielstreberisch sich auf Ronkar zu bewegte. Unterwegsriefer noch: „Monsieur Regenwetter, dites lui ce qu’il fallait répondre.“ Ich kam überhaupt nicht zum Antworten, da hatte er mir bereits eine kräftige Maulschelle verpasst. Ich schaute ihn verdutzt an und dann entschuldigte er sich bei mir mit: «c’n'était pas pour vous, c’était pour Monsieur Ronkar.“

Eines jedoch möchte ich hier noch niederschreiben, was mir während der Schulzeit viel Freude bereitet hatte. Marcel Reuland belebte eine Zeit lang das Schulfest mit einem Theaterstück. Diesmal stand auf dem Programm. „Luxembourg for ever“. Ein Stück in Luxemburger Sprache, das sich anlässlich des Luxemburger Nationalfeiertages auf irgendeiner Farm in Amerika abspielte. Bei der nun beschriebenen Szene war ich als Nigger, komplett geschwärzt und mein Kollege als Indianer komplett in Rot aufgetreten. Das Maquillage besorgte unser damaliger Zeichenprofessor Foni Tissen. Klicken sie einmal auf dessen Namen und sie werden manches über diesen grossartigen Künstler erfahren, der mir immer wieder Bewunderung und Staunen entlockte. Man feierte im Jahr 2009 seinen hundertsten Geburtstag mit einer Ausstellung seiner Werke im Escher Knabenlyzeum. So auch ein Selbstbildnis, das er ganz in Blau gemalt hatte, mit dem Titel „Saint Foni in blue“.

Er hatte auch die Kanone aus Karton und Sperrholz gebastelt. Während der laufenden Feierlichkeiten auf der Bühne sollten der Indianer und ich einen Kanonenschuss abfeuern. Bei den Übungen trainierten wir den Schuss nur symbolisch, indem ich abzählen sollte, 1, 2, 3 und dann müsse der Schuss fallen und um diesem Vorgang etwas Realität zu verschaffen werden wir beide uns vor Schreck hinfallen lassen. Marcel Reuland meinte bis zur Hauptvorstellung hätte er schon eine Lösung um den Schuss hinter der Bühne abzufeuern.

Als wir an diesen festlichen Tag vor dem mit Studenten gefüllten Saal auf der Bühne standen und uns allen bereits der Schweiss und bei mir die Schwärze, sowie beim Indianer die Röte über die Wange tropfte, da nahte auch schon dieser ominöse Augenblick des Schusses. Um synchron zu bleiben, zählte ich laut und langsam ab und nach 3 liessen wir beide uns wie besprochen rückwärts auf den Boden fallen. Doch von einem Knall oder Schuss war nichts zu vernehmen. Es blieb zuerst stumm im Saal, doch als ich dann Geistes gegenwärtig meinte: „Hast du wieder vergessen das Pulver in die Kanone zu geben?“ Da brach das Geheul im Saal aus. Hinter der Bühne hörte ich nur die Stimme von Professor Reuland: „Gut so, weiter so, ich lade noch einmal. Noch einmal, noch einmal.“

Es wurde also noch einmal geladen und dann, als ich von hinter der Bühne die Stimme von Marcel Reuland hörte: „Ich bin bereit, schiessen“, begann ich zu zählen: 1, 2, 3.Wer da einen donnernden Knall, von hinter der Bühne erwartet hatte, wurde gewaltig enttäuscht. Es hörte sich so an, wie „pätsch“ und das war’s. Die Studenten im Saal grölten. Das Stück blieb eine kurze Weile an diesem Punkt hängen, bevor wir auf der Bühne wieder die Sprache gefunden hatten.

Als wir uns nachher erkundigten, was da eigentlich gepätscht hätte, zeigte uns der Professor einen Revolver, auf den man früher einen Stopfen steckte, der mit einer Schnur befestigt war. Bevor unser Regisseur persönlich losdrückte, musste ein Gehilfe ihm einen blechernen Eimer vor das Rohr halten, damit mehr Resonanz entstehe!

In den darauf folgenden Vorstellungen hatte man eine dicke Trommel aufgestellt, womit man den Schuss imitierte, was einigermassen der Realität entsprach.

Seit diesem Theaterstück war an mir etwas hängen geblieben. Ich war bei den Kollegen ab sofort der Nigger oder der Bob und das bis ans Ende meiner Schulzeit und bei manchen darüber hinaus.

Auch Herr Hallé war von meinen sprachlichen Kenntnissen begeistert. Als ich später Sekretär bei den Amitiés Françaisesund er ebenfalls im Vorstand war, hat er mehrere Male erwähnt, dass er einige meiner Aufgaben so gut gefunden habe, dass er sich eine Kopie mit nach Hause genommen hätte für sein persönliches Archiv.

Verlassen wir wieder die Erinnerungen an diese Schuljahre, die in mir immer wieder schöne Stunden wach rufen, um den weiteren Verlaufmeiner männlichen Reife zu verfolgen.


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