Meconopsis

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Die Schlittschuhe

Die Symphonie kann beginnen

Die Schlittschuhe.


Einmal hatte es tief gefroren. Es lag etwas Schnee und schnell wussten wir Schulkinder, wo die besten Eispisten oder Schlittenstrecken zu finden waren. Natürlich waren wir immer vor Ort und lauerten darauf, um auf den Spielgeräten anderer mitgenommen zu werden. Die grosse Wasseransammlung der Auen nahe der Schlackenhalde bei Rodingen war so eine vortreffliche Stelle für Schlittschuhfahrer. Es kamen solche, die bereits Pirouetten drehen konnten, oder einen doppelten Lutz sprangen, aber es gab auch die Erbärmlichen, die Anderen. Nach langem Feilschen erbarmte sich ein Schulkollege meiner Bitten und ich fixierte mir seine Schlittschuhe. Natürlich stand auch ich recht wackligauf den Beinen, als man mich anstiess, damit ich eine kleine Strecke gleiten sollte, zum Probieren. Zuerst war es meine Sorge zwar mit Mühe aber aufrecht stehen zu bleiben, dann aber, als ich in die Richtung blickte, in welcher ich mein Können fortsetzen sollte, wurde mir plötzlich klar, dass ich überhaupt keinen Sinn hatte, wie man sich zueiner Kehrtwendung anstellen sollte. Mir dämmerte es sehr schnell, dass ich im Begriff stand, mich immer mehr dem Rand der Schlackenhalde zu nähern, wo ich auch schon blankes, also nicht gefrorenes Wasser erblickte. Ich hatte mir kaum die missliche Lage vor Augen geführt, als ich auch schon einsackte und als ich mich bereits am Ersaufen sah, stand ich plötzlich bis über den Nabel im Wasser und bis nahe an die Knie im Schlamm.

Ich konnte mich recht mühsam herausarbeiten, indem ich mich auf die Schlackenhalde zu bewegte. Dort verspürte ich auch schnell, warum das Wasser hier nicht gefroren war. Die frisch ausgegossenen Schlacken hatten noch Wärme gespeichert, sodass sich am Fusse der Halde nur offenes Wasser befand. Als ich wie Poseidon aus dem Schlamm auftauchte, konnte ich nur höhnisches Gelächter hinter mir vernehmen. Ich musste warten, bis jemand mit dem Schlüssel herbeikam, um die Schlittschuhe zu lösen, doch ans nach Hause gehen, wollte ich keinesfalls denken, denn da hätte der Panzgurt wieder Tanzstunden hervorgerufen. Ich wagte mich also so nahe wie nur möglich an eine frische Schlackenbombe, um mich daran zu trocknen. Dampf stieg auf, als die nassen Beinkleider immer näher an die unsichtbare Glut kamen. Meine Vorstellung schien zu funktionieren. Ich zog auch Schuhe und Strümpfe aus und dann sogar noch die Hose um diese erstens noch vom meisten Schlamm zu befreien dann aber besonders um sie zu trocknen. In der Nachbarschaft dieser ungewöhnlichen Heizquelle konnte ich mich barfuss und nur in Unterhosen unbeschadet von der herrschenden Kälte aufhalten. Als ich nach Hause ging, war alles schön trocken, aber kaum war icheingetreten, wo meine Mutter mich bereits erwartete, da ging das Geschrei bereits los. Zuerst machte sie mir Vorwürfe, warum ich so fürchterlich nach Gas stinken würde und als ich ihr alles brühwarm darlegte, bemühte sie sich doch fürsorglich, um mir eine reinigende Dusche zu verpassen und frische Kleider. Die Freude allein, dass nichts Schlimmes passiert war, konnte sie auch bewegen Verständnis zu zeigen für die Seitensprünge ihrer Buben, deren Hilfe im Haushalt sie sicherlich auch so langsam zu schätzen begann. Später erfuhr ich erst, dass man sich bei diesen Schlackenbomben, die noch massig Gase abgaben, regelrecht hätte vergasen können.

Natürlich ärgerte ich meine Mutter immer öfter mit neuer Ausgelassenheit. Das hatte manchmal aber auch unerwartete Folgen. Sie wusste sich dann nicht zu wehren und begann laut zu schreien und über mich zu schimpfen. Manchmal war sie so gereizt und überfordert, dann fiel sie wie in einen Wahnsinnszustand, wobei sie öfters einen Lachkrampf erlitt und eine Art Veiztanz aufführte. Bei solchen Zuständen lies sie mich besonders wissen, dass ich eigentlich unerwünscht gewesen wäre und man mich wie schon erwähnt, bei der Geburt besser ertränkt hätte, so wie mein Vater es immer mit den jungen Katzen machte, die unerwünscht waren. Aus respektvollen Gründen, denn heute überblicke ich mit Abstand die damaligen Situationen,belasse ich es bei diesem Beispiel, wie meine Mutter ihre rhetorischen Beziehungen zu mir immer subtiler verfeinerte und unüberlegt zuspitzte. Dann tat mir alles wieder leid, doch ich konnte nicht ergründen, warum man nur mir immer so aufsässig werden konnte.

Diese schlechten Beziehungen waren auch die Gründe, warum ich nach der Schulzeit fast nie sofort nach Hause ging und zuerst in den Wiesengrund abbog, wo neben dem Basketballfeld, der kleine Bach mich dann stundenlang in seinen Bann zog. Ich lebte dort in einer paradiesischen Welt, kannte Libellen, Steckmücken, Wasserkäfer und Schnecken, sowie alles was sich im Wasser und am Ufer bewegte. Selbstverständlich habe ich immer Schuhe und Strümpfe ausgezogen und da die Natur mich damals schon mehr faszinierte als das zuhause, geschah es bei gutem Wetter fast regelmässig, dass meine Mutter sich auf den Weg machte, um mich dort mit allem Drum und Dran abzuholen. Schuhe und Strümpfe waren trotz aller Vorsichtsmassnahmen meist versaut und manchmal noch andere Sachen, wenn mein Darmverschluss den Anstrengungen, diese peniblen Geschäfte der Natur zu unterdrücken, nicht nachkam.

Ich kann mich erinnern, dass ich nach dem Schultag nahezu niemals etwas richtig für den nächsten Tag gelernt habe, vielleicht nur die Fragen und Antworten im Katechismus. Ich begriff schnell die Zusammenhänge, schrieb immer recht schön und fleissig meine Aufgaben, zählte aber ohne alles auswendig zu lernen zu den 6 Besten von 21 Schülern in unserer Klasse.

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