Meconopsis

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Abschlussmanöver

Die Symphonie kann beginnen

Abschlussmanöver


Die Leute vom Genie mussten den obersten Teil eines Berghügels verteidigen. Zur Westseite hatte sich die Kompanie eingegraben und sollte mit Gewehr sowie mit Handgranaten den Angriff abwehren, der von dieser Seite erwartet wurde.

Mich hatten die „Anführer“ an die Südflanke postiert mit einem schweren Bren, das von einem Lastkraftwagen abmontiert worden war. Hinter mir auf dem Plateau befanden sich die Schiedsrichter,eine grosse Zahl Reporter mit Fernsehkameras, Mitglieder der Regierung, sogar war unser Hof vertreten durch Prinz Jean und wahrscheinlich noch manche Beobachter von der NATO.

Ich sah schon gleich, dass sich im Hang unter meiner Position eine grosse Schar von Fahrzeugen in Bewegung setzte, sowie auch eine Unmenge von Soldaten. Ich machte den Adjutanten darauf aufmerksam, dass die Abwehrlinie auf meine Seite verlegt werden müsse, doch dieser meinte ich sollte mich nicht um das Problem kümmern und auch erst mit dem Schiessen beginnen, wenn er mir das Kommando dazu gegeben habe.

Als die ersten Soldaten der Angreiferwelle bereits auf etwa 50 Meter herangekommen waren, da bekam ich den Auftrag zu ballern. Mein Gehilfe lud immer nur nach und ich drückte dauernd los, schoss über die Köpfe der heranstürmenden Kameraden, während die Reporter hinter mir ebenfalls auf ihre Kameraauslöser drückten. Dann geschah etwas, was ich nicht erwartet hatte. Ich schoss noch, als die ersten Angreifer bereits an mir vorbei gerannt waren und konnte nur aufgehalten werden, als der Adjutant mir wuchtig auf den Helm klopfte. Ein Kommando hatte ich nicht mehr gehört. Auch habe ich nicht gehört, was er mir zu sagen hatte. Ich konnte ihm nur ein Zeichen geben, dass ich absolut hörunfähig geworden war. Ich war taub, komplett taub. Nur ein enormes Pfeifen verspürte ich im Gehör. Ein Militärarzt nahm sich meiner an. Er schrieb seine Fragen an mich auf ein Blatt Papier.

Sofort wurde ich in eine Ambulanz verfrachtet und nach Luxemburg gebracht, in die Station der Armee. Der Ohrenarzt diagnostizierte, dass beide Trommelfelle geborsten seien.
Es vergingen 3 Wochen, während denen ich ohne jedes Gehör, in einer lautlosen Welt lebte. Mein Gehör war so fein gewesen, dass ich bei Wanderungen mit den Pfadfindern bereits in der Ferne Wasser im Wald plätschern hörte, während meine Begleiter sich vergeblich anstrengten, um das Plätschern ebenfalls zu vernehmen. Besonders in der Nacht vernahm ich die geringsten Geräusche, die mir in den ersten Jahren beim Schlafen im Zelt immer wieder Probleme bereiteten. Es dauerte dann immer lange, bis ich genau einschätzen konnte, was ich hörte und dann erst konnte ich meine Fantasiegedanken regulieren. Langsam schwanden die immer wieder auftauchenden Angstvorstellungen.

Als ich in der dritten Woche gänzlich unerwartet aus der Ferne die Glocken der Kathedrale läuten hörte, da fuhr ein heisser Strahl von Freude durch meinen Körper. Ein Lichtblick war erreicht. Von Tag zu Tag verbesserte sich mein Gehör und nach einigen Untersuchungen konnte ich aus der Infirmerie entlassen werden.

Natürlich wurde ich von der Militärverwaltung gefragt, ob ich mich als geheilt verspüre, andernfalls ich noch länger in der Infirmerie verbleiben müsse. Wie infam diese Fragestellung war, konnte ich erst in meinem späteren Leben einschätzen, denn bei dieser Fragerei ging es um eine Unfallversicherung, von der ich absolut keine Ahnung hatte. Genau diese Unfallversicherung doch in Anspruch zu nehmen rieten mir die Kameraden, als ich über 50 war und der Pfeifton in meinem Gehör mir immer lästiger wurde, sowie ich auch immer weniger gut hörte. Ich habe mich deswegen komplett untersuchen lassen und gemerkt, wie wenig objektiv diese Untersuchungen sind. Sie orientieren sich hauptsächlich an den Aussagen der Patienten und als ich einmal mit meinem kleinen Cousin Aloys, der ja ein professioneller Militär war, über die Erlebnisse im Manöver sprach, meinte er, es gäbe da eine Versicherung, die ich doch in Anspruch hätte, nehmen solle.

Ich leitete ein solches Gesuch ein. Tatsächlich fand man im Archiv der Armee die Unterlagen dieses Vorfalles und der darauf folgenden Behandlung. Daraus ging hervor, dass meine beiden Trommelfelle zwar gerissen wären, ich aber erklärt hätte, dass ich wieder gut hören könne und genau diese von mir erpresste Aussage (weil mir ein längerer Aufenthalt in der Infirmerie angedroht worden war) schlussfolgerte die daraufhin einberufene Kommission, dass die Versicherung keinesfalls infrage komme und man lies durchblicken, dass ich es ausschliesslich auf eine Unfallrente abgesehen hätte. Ich kann nur sagen, dass das Verhalten der damaligen Ärzte in besagter Kommission mich anekelte. Die Armeeverwaltung erhielt einen offiziellen Bescheid von dieser Kommission, dass eine nachträgliche Anerkennung keinesfalls infrage kommen konnte. Meine berechtigte Bitte auf Schadensanerkennung war also regelrecht abgewiesen worden.

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