Meconopsis

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Das Heimathaus

Die Symphonie kann beginnen

Das Heimathaus.


Unser Haus war eher ein herrschaftliches Wohnhaus, die Dienstwohnung meines Vaters, worüber meine Eltern sehr stolz waren. Es war etwas in einem nahezu unsichtbaren Hügelchen, zurückgelegen von der Strasse gebaut worden und kaum 10 Jahre alt.Die Kellerräume waren ebenerdig vorne und nahezu völlig im Erdreich an der Rückseite des Hauses, sodass in ihnen nahezu völlige Dunkelheit herrschte und die schmale Luke kaum Licht in den Keller warf. Nur die schwarze Katze Micky machte davon Gebrauch. Hier fand ihr Wechsel aus dem und ins Haus statt, wenn nicht gerade das Küchenfenster oder eine Tür offen stand. Über dem zweiten Stockwerk, mit den Schlafzimmern, befand sich noch eine bewohnbare Mansarde. Dann ging es noch eine Holzstiege höher bis unter das spitz zugeschnittene Dach, in welchem ein kleiner, eigentlich nur dekorativer Turm eingebaut war. Hier hatten die Tauben des Nachbarn ihr Klo eingerichtet. Mit einigen unterschiedlich langen und zusammengebundenen Eisenstangen, die der Nachbar über ein langes Seil in Bewegung und dabei zum Klirren bringen konnte, wurden die Tauben direkt an ihrem Sitzplatz mit Radau erschreckt, aber mit der Zeit gewöhnten diese sich an das Geräusch am Kamin und wir uns an ihren Mist auf der Haustreppe, wobei uns das Geräusch der Eisenstangen immer mehr störte. Es war eben kein Glockenspiel. Im Innern war das Treppenhaus bis zum Speicher offener Raum und ganz aus Holz gebaut. Nirgends gab es Betonböden. Alle Zimmer waren nahezu 4 Meter hoch. Mein Vater war ein Hüne. Wenn er gut gelaunt war, lies er uns Buben (mein Bruder, er wurde zwar François gerufen hiess aber offiziell Albert,war vier Jahre älter als ich)einen nach dem anderen auf seinen Schultern turnen und sogar oben stehend konnten wir nicht bis an die Zimmerdecke reichen.

Der grosse Doppelkeller war also auf dem Niveau der Strasse. Er konnte fast nicht ohne eingeschaltetes Licht betreten werden. Ich hatte immer Angst allein hinabzusteigen, um Kohlen oder Briketts für die Öfen zu holen. Nur den stinkenden Käse, Fromage de Herve, den mein Vater während des Krieges in seinen beiden Koffern und in rauen Mengenmit nach Hause brachte, konnte ich ohne Licht finden, ich brauchte nur die Quelle des Duftes anzusteuern. Aber auch die Kartoffeln, die in die Küche getragen wurden, gehörten zur alltäglichen Pflichtarbeit und waren am starken Erdgeruch zu finden. Dass man auch von der Strasse her ebenerdig in den Keller gelangte, war ein beachtlicher Vorteil, zumal wenn eine neue Ladung Kohlen, Briketts oder Holz angeliefert wurde. Die Briketts und das noch ungespaltene Holz wurden Raum sparend wie Ziegelsteine gestapelt, was stets die Aufgabe von uns Jungen war. Wenn Holz gebraucht wurde, durften wir dies sogar selber spalten. Das Beil war immer griffbereit in einem mächtigen Holzbock eingeschlagen. Es handelte sich bei diesen Holzscheiten um leicht spaltbare, unbrauchbar gewordene und auf Mass zu geschnittene Grubenstützen. Die Grubenarbeiter hatten eine Ration von Holz gratis zur Verfügung und je näher der Winter kam konnte man sie tagtäglich von der Arbeit nach Hause gehen sehen, mit einem meterlangen Scheit Holz, in welches ein Keil als Griff getrieben war. So konnte man es besser auf der Schulter tragen und mit einer Hand festhalten. Es sei hier zusätzlich notiert, dass sich direkt angrenzend an die Ortschaft geologisch gesehen, das Plateau de Brie ausbreitet, das weit ins Französische reicht und bekannt ist durch sein ergiebiges Eisenerzvorkommen. Die Minette, wie das Eisenerz genannt wird, konnte man zuerst nur über Stollen abbauen, später aber auch im Tagebau. Die vielen kraterähnlichen Löcher oben auf dem Plateau rührten her von eingestürzten oder zum Einsturz gebrachten Stollen. Eine Traumlandschaft für spielende Linder, die keine Gefahr kannten, denn weitere Einsturze waren häufig, doch glücklicherweise kann ich mich nicht erinnern, dass irgendeinem dort ein Leid zugestossen sei.

Die Westseite unseres Hauses war an ein viel kleineres Nachbarhaus angebaut. Alle Zwischenwände waren nahezu schalldicht, doch konnte man noch gut vernehmen, wenn auf der anderen Seite etwas Besonderes los was, das heisst,wenn es dort etwas lauter herging als normal. Auf unserm Parterre befanden sich 2 Eingangstüren. In der Mitte der einen an der Vorderfront befand sich ein kleines Fenster, das man öffnen konnte. Die Franzosen bezeichnen solch ein Fenster wie auch das heute als „Spion“ bekannte Guckloch mit „Vasistdas“, was in überzogenem Chauvinismus der sich in Sachen Sprache unfehlbar gebenden Académie française aber mit einem „V“ geschrieben wurde, obschon es abgeleitet ist von„Was ist das?“. Diese Tür war sehr praktisch zum Betreten der kleinen Balkon -Terrasse, die wir auf der Strassenseite benutzen. Dort stand unsere gemütliche Bank recht bequem und luftig im Schatten. Bei guter Witterung wurde sie sehr oft benutzt. Das erlaubte uns alles zu überblicken, was sich vor unserm Haus abspielte. Hier wurden alle Familienfotos geknipst, denn mein Vater war ein leidenschaftlicher Fotograf, der seine Glasplatten noch selber im Dunkel -Keller entwickelte. Ein kleiner Vorgarten im Hang war mit Strauchrosen und Farnen begrünt nebst einem Fliederbusch dessen Blüten mein Vater immer abschnitt um sie meiner Mutter zu Dekorationszwecken zu überreichen. Nur hatte die Tür wegen des seltenen Benutzens die fatale Eigenschaft am Boden zu klemmen. Diese Bremse konnte nur mit etwas Kraftaufwand überwunden werden.

Die andere Haustür öffnete sich ebenfalls ins Treppenhaus, aber als Nebeneingang an der östlichen Giebelseite. Sie wurde am meisten benutzt. Hier befand sich auch der Zugang zum Garten. Rollladen vorne am Haus und Klappladen auf der Hinterseite, dienten der Sicherheit. Jeden Abend wurden die beiden länglichen, bis an die Klinken herab reichenden Fenster, der Giebeltür mit Stahlplatten abgesichert und mit einem breiten Flacheisen zusätzlich verriegelt. Diese manuelle Absicherungsmethode anzubringen und wieder zu entfernen, war ein tagtägliches Pensum von uns Buben.

Damit man diese bereits damals notwendigen Sicherheitsvorkehrungen verstehen kann, betone ich, dasswir an der Westgrenze des Luxemburger Landes wohnten und wenn man nach Frankreich über die Grenze ging, wo sich nur ein eher symbolischer Schlagbaum als Absperrung befand, war man wohl im Land der Franzosen, aber zu sehen waren meistens nur herumlungernde Algerier, Marokkaner und Tunesier, die alle arbeitslos zu sein schienen. Einheimische Franzosen waren wenige zu erkennen. Dazu war meine Mutter eine überaus ängstliche Person, der es auch nicht leichtviele Nächte ohne Schutz des Mannes zu sein, während dieser seinen Nachtdienst ausübte.

In die gute Stube unseres Hauses kam man vom Hausgang her durch eine riesige Doppeltür, die selten geöffnet wurde, besonders aber dann, wenn ein grosserPutztag bevorstand oder im Sommer wenn Kühlung per organisiertem Durchzug erreicht werden sollte. An diese grosse Doppeltür angelehnt stand auch das Fahrrad meines Vaters, wenn er zuhause war. Dies war von der englischen Marke Raleigh und recht solide, was dem Anspruch meines gewichtigen Vaters entsprach. Sogar der Gepäckträger war sehr stabil und wurde oft von uns benutzt um eine kurze Strecke, als Aufsitzer mit dem Vater zu fahren. Rücktritt als Bremse, und eine kleine Übersetzung waren besondere Gadgets, die auch wir schnell zu nutzen wussten. Meine Mutter mag dieses Aufspringen auf den Gepäckträger nicht so sehr weil sie öfters danach Risse in unseren Hosen zu nähen hatte.

Die gute Stube wurde nur selten benutzt. Es roch in ihr immer apart muffig undübertrieben säuberlich nach Bohnerwachs, den wir Buben nicht nur auf den Holzboden auftrugen, sondern von der Mutter auch besonders an den Möbeln gebraucht wurde, welche anschliessend poliert werden mussten. Auf der grossen Fensterbank standen einige Asparaguspflanzen, aber auch Pflanzen, die man im Volksmunde Zungen der Schwiegermutter nennt. (Schwéiermamms Zongen). Die Bezeichnung kam wahrscheinlich daher, weil die Blattränder der Pflanzen messerscharf sind und man sich gerne die Finger daran verletzte, wenn man die Blätter vom Staub befreite. Nur zu feierlichen Anlässen wurde dort alles schön hergerichtet. Dort befanden sichum einen runden, aber weit ausziehbaren Tisch, 6 recht komfortable mit schwarzem Leder überzogene Holzstühle. Sie waren auf dem Sitz und am Rückenstück sehr dekorativ mit Kupfer- oder Messingnägeln beschlagen. Es befandsich in diesem Zimmer ebenfalls eine Liege, auf welcher wir manchmal herumturnen durften und wo mein Vater seine Siesta hielt. Es kam aber auch vor, dass wir uns dorthin zurückzogen, wenn wir uns schämten oder mit unserm kindlichen Leid allein sein wollten. Das Lästigste an diesem Zimmer war das peinliche Staubwischen und das anschliessende Bohnern. Daran war das Hüttenwerk schuld, das neben hoch qualitative Eisenbahnschienen auch sehr feinen Staub produzierte, welcher durch alle Fugen und Ritzen ins Haus eindrang. Unter dieser Liege (chaise - longue genannt) wurde der grosse hölzerne Kasten mit dem Staubsauger, mitsamt Accessoires aufbewahrt. Den Staubsauger benannten wir nach seiner Marke Electrolux. Der „Lux“ musste nahezu jeden Tag in Gebrauch kommen, das verlangte die peinlich praktizierteSauberkeit in unserer Familie. Die Tätigkeit mit diesem saugenden Ungetüm auf Gleitschienen hatten wir mit dem Tätigkeitswort „luxen“ belegt. Dieses grösste aller Zimmer war also das Prunkstück, das Aushängeschild unseres Hauses. Kindstaufe, Kommunion, Weihnachten und einige Familienbesuche hatten dort Vorrecht.

Der Architekt des Hauses muss entweder besoffen gewesen sein, als er den Plan erstellte, oder aber er war ein absoluter Dummkopf, denn wahrscheinlich erst als der Rohbau fertig gestellt war, merkte man dass kein WC vorgesehen war. Man wusste alsdann keine bessere Lösung als einen Teil des grossen Esszimmers hierfür abzutrennen. Da man die Seitenmauern des WC aber nicht bis unter die Decke hochgezogen hatte, befand sich nachher in der Ecke der schönen Stube eine Art grosser eingebauter eckiger Kasten, den man später als Schrank tarnte, indem ungeübte Anstreicher auf die blanken Gipswände so etwas Ähnliches wie Holzpanelen aufmalten, sowie simulierte Türen eines Bücherschranks. Das wäre noch eine annehmbare Lösung gewesen, aber nur eine Täuschung fürs Auge. Wenn nicht gerade dann, wenn hoher Besuch aufkreuzte, man beim Festessen besonders gut hat vernehmen können, wenn und wie lange jemand pinkelte, wer und in welchem Ton dieser Winde von sich gab. Sogar das Rascheln der abgerissenen Zeitung war durch die dünne Trennwand erschreckend gut vernehmbar. Auch das anschliessende Ziehen des Wasserkastens, der hoch oben an der Seitenwand angebracht war, konnte akustisch nicht unterdrückt werden.Unsere Eltern hatten uns eingebläut niemals das WC zu benutzen, wenn die geladenen Gäste beim Festessen zu Tisch sassen. Im Notfall verschwanden wir in unserm Garten und pinkelten gegen den Kaninchenschuppen. Das hatten wir auch lieber, da konnten wir wenigstens die Vorhaut unseres Wasserspeiers wie eine Blase mit Urin füllen und damit versuchen Rekorde im Weitpissen zu erstellen, indem wir kräftig auf die pralle Blase drückten und den heraustretenden Strahl so dünn, wie nur möglich hielten. Meistens zielten wir auf den Starenkasten, der unter der Dachrinne des Kaninchenstalles aufgehängt war. In dieser Sportsparte zirkulierten übrigens die skurrilsten Gerüchte von Männern, denen es sogar gelungen sei, mit dieser Technik manche der damaligen Gaslaternen in der Strasse zum Erlöschen zu bringen. Erst später wurde es auch uns bewusst, dass dies kaum möglich war, da das Gasflämmchen der Strassenlaternen rundherum mit einer Glasscheibe absolut winddicht und somit auch vor einem gezielten Urinstrahl geschützt war.


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