Meconopsis

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Im Erziehungslager in Capellen

Die Symphonie kann beginnen

Im Erziehungslager in Capellen.

Die Einheimischen bezeichneten es als Volksverdummung, doch die Okkupanten sprachen von Volksertüchtigung, Volkserziehung. Im Rahmen dieser Aktion kam ich mit der kompletten Schulklasse von der Hauptschule aus in ein Heim nach Capellen. Es war eine herrschaftliche Villa, mit grossem Bering, Park und Weiher.
Es wäre langweilig auf die Schulung im großen Festsaal einzugehen. Hier filtriere ich Randerscheinungen, die typisch Deutsch waren. Was die Pillen bewirkten, die man uns alle Tage in verschiedenen Formen und Farben verabreichte, das entzieht sich meiner Kenntnis. Die einen schluckten sie, die andern taten nur so als ob und warfen ihre Ration ins Klo.
Es gab eine gemeinsame Küche, einige Luxemburger Erzieher, aber auch Deutsche, besonders der Kapo beherrschte martialisch alle Bewohner. Er trug auch tagtäglich eine Uniform. Unter seiner Befehlsgewalt befand sich ein junger Mann aus dem Nachbardorf.
Was wir dort lernen sollten, war, wie man auf Befehl gehorchen soll. Das geschah beim Sammeln im Hof, beim Sammeln zum Essen, beim Sammeln zum Studium oder beim Sammeln zum Sport.
Während der Wintersaison war es sehr kalt dort und es lag Schnee. Wir wurden abgehärtet und liefen barfuß und nur mit der kurzen Sporthose bekleidet, von dieser Villa aus bis zum Fußballfeld das sich in Richtung Steinfort, oberhalb Windhof befand, spielten dort kurz mit dem Ball und liefen dann wieder über die schneebedeckte Straße zurück. Das war schon ein hartes Stück Arbeit und nichts fürKinder mit labiler Gesundheit. Die Wirkungen blieben nicht aus und so kam es dass wir alle zusammen, mit Durchfall geplagt wurden. Wenige hatten das Glück das Klo aufsuchen zu können. Die meisten hockten sich draußen über ein Loch, das sie in den Schnee gestoßen hatten und so konnte man nahezu die ganze Belegschaft mit heruntergelassener Hose rundum die Villa nicht nur hocken sehen, sondern wie sie sich auch über das Darmgrimmen beklagten. Papier hatten wenige und so musste der Schnee herhalten, was ganz natürlich eine erbärmliche Sauerei ergab. Pablo Picasso hätte seine Freude gehabt, beim Anblick vom Fenster herab auf diese Kreation in Scheiß und Weiss. Dem war den Aufpassern aber nicht so, denn die Strafen folgten auf der Stelle. Drill, und immer wieder in den Schnee fallen lassen.
Fast jeden Abend gab es Krach auf den Zimmern, in welchen wir zweistöckig gelagert waren mit etwa 30 Schlafplätzen in eisernen Betten. Jeder musste seinen Spind militärisch einrichten und militärisch ging es auch her mit der Sauberkeit der Bekleidung und der Schuhe. Eine Pimpfenuniform war aber noch recht einfach zu pflegen. Doch zur Ruhe kamen wir immer erst sehr spät, nachdem man uns nahezu jeden Abendeinen Hexensabbat aufbrummte. Dabei wurde die ganze Bude bestraft und es wurde im Spiel festgestellt wer der Schnellste im Bett, unter dem Bett, den Spind ausgeräumt oder wieder eingeräumt hatte, im Nachthemd oder in der Uniform da stand. Dieser Radau dauerte so lange, bis der Letzte aller Spiele erkannt war und dieser erhielt dann eine saftige Strafe für alle wohl verstanden, wer der erste bei so einem Zauber fertig war konnte sich ins Bett legen und wurde nicht mehr belästigt.
Eines Tages nahm der Sturmbannführer mich bei den Ohren und befahl mir sofort zu einem Friseur zu gehen, weil ich offensichtlich nicht mehr gut sehen könne. Das war ganz früh am Morgen und ein Friseur befand sich nur in Steinfort. Um mir jede Möglichkeit zu nehmen, mir irgendwo von jemanden die Haare schneiden zu lassen, musste ich als Beleg, dass ich wirklich in Steinfort war, dort beim Ortsgruppenleiter vorstellig werden, um mir eine diesbezügliche Bescheinigung abzuholen.
war bereits Frühjahr geworden und der Schnee war weg. Das Wetter war gut und so machte ich mich zu Fuß auf den Weg nach Steinfort. Ich war aber kaum 1 Km in Richtung Steinfort marschiert, da hielt der Briefträger, der mit dem Fahrrad unterwegs war, neben mir an und er fragte: „Wohin gehst du denn?“ Ich trug ihm meinen Auftrag vor und der gute Mann ärgerte sich über diesen unmenschlichen Auftrag und meinte: „Ich habe soeben meine Tournee beendet. Komm mit zurück bis zum letzten Haus, dort stelle ich das Fahrrad ab und dann kannst du dich dessen bedienen, um nach Steinfort zu gelangen.“
einer halben Stunde war ich beim Friseur in Steinfort, ließ meine Haare sehr kurz schneiden, um nicht gleich wieder in Zugzwang zu geraten, kaufte von meinem äußerst spärlichen Taschengeld meiner Mutter noch ein Haarnetz als Andenken, suchte alsdann den Ortsgruppenleiter auf, um meine Bescheinigung zu erhalten und machte mich wieder zurück nach Capellen. Dort traf ich gegen Mittag ein. Ich stellte das Fahrrad wieder beim Ortseingang gegen den Giebel des letzten Hauses und begab mich schnellstens ins Esszimmer, denn alle Kameraden waren bereits bei Tisch und ich hatte einen riesigen Hunger.
Als ich in den Essraum eintrat, schrie der Sturmbannführer mich an: „ Raus!“ Ich wusste zwar nicht warum, ging aber wieder hinaus, und klopfte vorsichtshalber an die Tür, bei meinem zweiten Versuch noch etwas vom Essen zu erhaschen. Wiederum schrie er mich an: „Wer sind sie, wir kennen sie nicht.“ Als ich aber völlig erschreckt und sicherlich auch zitternd vor Aufregung dort stand, meinte er: „Ah, jetzt sehe ich erst wer sie sind. Man hat ihnen die Haare also geschnitten, wo ist die Bescheinigung, die sie abgeben sollen.“ Erst nach dieser Szene eines regelrechten Affentheaters durfte ich mich an meinen Platz setzen und verschlang regelrecht gierig einige Teller vom Eintopf des Tages. Von diesem lieben Briefträger erfuhr ich nichts mehr. Sollte er jedoch zufälligerweise diese Zeilen lesen, dann bedanke ich mich nachträglich für diese mir zuvorkommende Hilfsbereitschaft. Dieser Gestus einem fremden Jungen ein Fahrrad auszuleihen und dabei noch Gefahr laufen in Scherereien verwickelt zu werden, das durfte ich nimmer mehr vergessen.
Eines Tages fiel uns allen ein nicht gewohnter aber stark riechender, aufdringlicherMoschusduft auf, der sich im ganzen Haus verbreitet hatte. Wir ahnten sofort, dass da etwas auf dem Gebiet der Sexualität geschehen war. Wir konnten auch an der knallroten Gesichtsfarbe des Kapos erkennen, dass er darin verwickelt war, zumal er wie von einer Geruchsäule umhüllt war, wie bei einer Stinkbombe, die man ihm an die Kleider geworfen hätte.. Wir waren uns bei der Deutung dieses Geruches also ziemlich einig. Er hatte gerade irgendwo im Heizungsraum oder sogar auf seinem Schreibpult eines der Dienstmädchen gerammelt, oder möglicherweise sogar vergewaltigt.
lernten auch mit Luftgewehr und Kleinkaliber schießen. Wir mussten mit dem Luftgewehr nicht nur auf kleine Zielscheiben sondern auch auf Vögel zielen. Die beiden Bannführer schossen mit dem Kleinkaliber auf die hoch in der Luft kreisenden „Hühnerdiebe“. Sogar schoss der Sturmbannführer eine Schleiereule im Park. Ein Kollege und ich sollten dem toten Tier solange die Flügel gespreizt halten, bis völlige Erstarrung eingetreten sei. Es zeichnete sich aber recht bald ab, dass diese Operation weit in die Nacht hinein dauern würde und dabei wurden wir Zeuge von einem unerwarteten Vorfall.
Wir standen neben dem überdimensionalen Schreibpult, worauf die Eule ausgelegt war. Die Rollladen des Büros waren nur zum Teil herunter gelassen,und die Bannführer sassen mit den Kleinkalibergewehren hinter dem geöffneten Fenster im Dunkeln und beobachteten wie draußen immer wieder verdächtige Personen am Hausgitter vorbei patrouillierten. Wir merkten, dass sich eine gewisse Angst bei den Herren breitmachte. Auf einmal ergriff einer das Telefon und sprach mit seinem Gegenüber über den Vorfall. Etwa zehn Minuten später knatterteneinige Motorradfahrer mit Beifahrerkasten herbei und der Spuk hatte sofort ein Ende. Wahrscheinlich war eine Polizeistreife als Verstärkung herbeigerufen worden.
Wennwir nicht im Freien mit dem Luftgewehr üben konnten, dann exerzierten wir im Lehrsaal. Da befand sich ein recht großer Kamin. Über dem Kamin ein überdimensionales Bildnis von Adolf Hitler in SA-Uniform. Die kleine Zielscheibe die kaum 20cm x 20cm groß war stand vor diesem Bildnis, auf dem Kaminsims. Einige Schüsse trafen selbstverständlich das Bildnis, was nicht ohne Konsequenzen blieb und mich persönlich hätte es ebenfalls erwischen können. Ich kann nur sagen ich hatte eine sehr ruhige und sichere Hand. Ich traf meistens das Zentrum der Scheibe. Doch eines Tages wurde von Spiegelschießen gesprochen und wir wurden gefragt, wer denn wisse, was Spiegelschießen sei. Damals bereits hatte ich mehrere Bücher von Karl May gelesen und darin war einmal die Rede von so einem Schuss. Ich kündigte mein Wissen an und musste erzählen, was ich gelesen hatte, doch dabei blieb es nicht. Man zwang mich vor dem Standbild, also vor dem überdimensionnierten Hitlerbild einen Spiegelschuss auf die Scheibe abzugeben. Sich weigern war völlig zwecklos, das verstärkte noch den Zwang und so kam es, dass ich noch aushandeln wollte, dass nicht mir die Verantwortung eines Bildschusses zugeschrieben werden könnte, doch auch dieser Fluchtweg wurde verbaut. Ich musste mit dem Spiegel zielen und schießen und wie durch ein Wunder traf ich die Scheibe gerade noch so, dass die kleine Bleikugel ins Innere des Kastens fiel. Natürlich wurde ich darauf hin von den Kollegen als Old Shatterhand gefeiert aber ich muss bekennen wie leid es mir getan hat mein Wissen kundzutun. Es war mir eine Lehre für mein zukünftiges Leben, dass man seine Fähigkeiten nicht immer preisgeben soll.

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