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Meine Kindheit

Die Symphonie kann beginnen

Meine Kindheit

Eine Autobiografie beginnt normalerweise mit der Geburt der Hauptperson. Dazu ist im Teil I dieser Homepage bereits die Bemerkung gefallen, dass der erste Wind, vortrefflich als Petinger Wind bezeichnet, dem „Grafen Heng I. von Zolver“ gehörig um die Nase blies, noch bevor er sich überhaupt berechtigt fühlte, diesen ehrwürdigen Titel zu tragen. Petinger Wind hat in lokaler Sicht eine ganz spezielle Bedeutung. Dazu fällt mir nur die Bezeichnung Hoffart ein, die anscheinend in einer Ortschaft, wo viele Eisenbahner wohnen zu einer gewissen artspezifischen Kuriosität gewachsen zu sein scheint. Ich möchte dazu aber sofort aufklärend bemerken, dass meine Familie mit mir nicht in Petingen, sondern in Rodingen wohnte und dass deshalb die mir scheinbar auch anhaftende Hoffart, nicht in vollkommeneEitelkeit ausartete. Manch einer wird trotzdem bereits mit jenem Finger (den die Meisten auch benutzen, um gemütlich in der eigenen Nase zu stochern) jetzt auf mich zeigen und meine Homepage als ein Produkt doch vorhandener Eitelkeit entlarven wollen. Das schert mich sehr wenig und ist keinesfalls (m)ein Problem. Ich habe in meinem Leben immer wieder die Erfahrung machen müssen, dass meistens diejenigen die am wenigsten aufzuweisen hatten, am meisten neidig reagierten.

Ausserdem schreibe ich, weil dies mir gefällt und mir Spass macht. Ich habe keinesfalls Ambitionen meine Schriften, ,von sogenannten Schriftgelehrten begutachten zu lassen. Meine Leser sollen aus dem Volk stammen, einfach, gut gelaunt und aufnahmebereit für merkwürdige Ereignisse und verständlich formulierte Gedanken.

Ich kam also in Petingen zur Welt, nur weil man mich als Zangengeburt ins Auge gefasst hatte und meine Mutter nur deswegen vorsichtshalber ins Spital eingeliefert wurde. Hiermit begannen allerdings alle Schwierigkeiten, die ich später mit meiner Mutter oder vielleicht richtiger beschrieben, die Sie ihrerseits auch fürderhin mit mir hatte.

Das Haus, in welchem wir wohnten, findet man heute noch in stark verändertem Zustand, gegenüber dem Hüttenkasino des Stahlwerkes: Minière et Métallurgie de Rodange, abgekürzt mit MMR bezeichnet. In der Dreiländerecke Frankreich, Belgien und Luxemburg geht es sprachlich hoch zu. Es ist auch nicht übertrieben sofort zu sagen, dass die Luxemburger überhaupt, grammatikalisch gesehen, besser französisch sprechen, besonders aber korrekter schreiben als die meisten Franzosen. Neben luxemburgisch und Französischverstehen und sprechen in diesem Dorf auch alle Leute sehr gut Deutsch. Diese Sprachenvielfalt führte natürlich zu einer Menge Eigentümlichkeiten, wovon ich hier einige Kostproben geben will.

Rodingen ist die deutsche Bezeichnung von Rodange. Réideng, wäre eigentlich eine echt luxemburgische Bezeichnung für diese Ortschaft gewesen; doch gebrauchte man eigenartigerweise diesen Namen nur für den Ortsteil Nidderréideng, nicht aber für den Ortskern selber, den man rundum den Bahnhoffindet. Kam das durch die Verwechslungsmöglichkeit mit einer nahebei liegenden Ortschaft, die bereits Réideng hiess? Diese befindet sich etwa 10 km weit entfernt, in östlicher Richtung, in Frankreich, aber hart an der Grenze und zu allem Überfluss trägt sie auch heute noch den luxemburgischen Namen „Déitsch Réideng“. Dort gab es früher ein herrschaftliches Schloss und rundherum reichlich Wasser, sodass man auch annehmen kann, dass sich hier schon sehr früh Siedlungen befanden. Die Ortschaft spielte im Mittelalter eine aussergewöhnliche Rolle. Dort wurde lange Zeit die Gerichtsbarkeit ausgeübt. Der Galgen stand auf dem heutigen, nebenan gelegenen „Galjebierg“ und in Réideng befand sich bereits eine Kirche, wohin sich auch die Leute aus Beles und Zolver, sogar aus Ehlerange, in die Messe begaben. Es wäre also interessant der Vermutung nach zu gehen, ob es sich möglicherweise auch um diese Wohnstädte handeln könnte, die im ersten bekannten schriftlichen Schenkungsakt von Zolver erwähnt wurde, als „villam iuxta castellum celobrium“. Diese kurze Erläuterung erlaubte ich mir nur zur geografischen Positionierung, die im ersten Teil bereits bildlich dargestellt wurde.

Nicht weit vom Ortskern von Rodange, nahe im Tal der Crosnière, liegt der ehemalige Kurort Lasauvage. Die Crosnière ist ein herrliches Grenzgewässer, das die deutschenBesatzer in Rohrbach umtauften, so wie viele andere französisch klingende Ortsbezeichnungen und auch Familiennamen. So drohte man der Familie Rongveaux ihren Namen in „Rundes Kalb“ umzuändern, wenn sie nicht selber einen anderen, deutschen Namen annehmen würden. Lasauvage steht durch Galerien unterirdisch in Verbindung mit der kleinen aber anheimelnden und heute noch viel besuchten Siedlung Fonds de Gras. Geschrieben wird sie „Fonds de Gras“. Wohlgemerkt schreibe ich hier Gras gross und nicht gras mit kleinem Anfangsbuchstaben. Man findet sie sogar im Internet. Das Lesen dieses Namens aber bereitet manchem Intellektuellen, besonders den Reportern unserer Radio- und TV-Sendern, Kopfzerbrechen, denn wie ich auch weiter unten noch erläutern werde, spielt vermeintliche Besserwisserei eine Rolle bei der Annahme es würde sich bei diesem Namen um eine französische Bezeichnung handeln. Daher sprechen sie diesen Ortsnamen falsch aus und zwar wie bei „foie gras“, also ohne das „s“ zu betonen. Nur die Erklärung dass es sich um das ehemalige Besitztum der Familie Gras handelte, die mit scharfem „s“ ausgesprochen wird, verhilft zum besseren Verständnis. Die Familie Gras besass auch Erzgruben in der Nähe und auf einer topografischen Karte findet man auch die Bezeichnung „Graskopp“ was unverwechselbar an Gras und Weideland erinnert.

Es ist eben eine Eigenart dieser Grenzbewohner sich ohne Probleme im Zweisprachenmix zu verständigen. So suchte ich einmal vergebens die Dachluke, durch welche seine Eulen ein und ausfliegen könnten, als einer meiner Familienangehörigen mich in seinem Garten fragte: „Hues de meng Eilen gesin?“ Wenn ich diese Eilen aber anders schreibe, dann versteht man besser, was er meinte: „Ailen sind Knoblauch, denn im Französischen bezeichnet man Knoblauch mit ail, was phonetisch identisch ist mit „Eil“ zu Deutsch die Eule.

Unsere Familie war also in Rodange kurz vor meiner Geburt in das Haus mit der Nummer 33 eingezogen. Mein Vater, der Zollbeamte war, wurde nämlich dienstlich von Niederkorn nach Rodingen versetzt, was für seine finanzielle Lage mit einem Vorteil verbunden war, wie das so immer praktiziert wurde, indem man die Versetzungen mit Vorteilen in Verbindung brachte, um sie schmackhafter zu machen. In Niederkorn mussten meine Eltern sogar wegen Geldmangels einmal die Tageszeitung für längere Zeit abbestellen, nur weil die Zollverwaltung und die Staatskasse es aber doch nicht so gut mit ihren Beamten meinten, wie die Regierung dies vorgab indem sie sich als christlich sozial zu bekennen pflegte. Wahrscheinlich betraf diese Einstellung nur die Gehälter der oberen Schicht!

Der Start ins Familienleben meiner Eltern begann sogar auf Matratzen, die ebenerdig in der Mietwohnung lagen, weil das benötigte Geld für den Kauf eines Bettes eben nicht aufzubringen war.

Hinter dem oben erwähnten Kasino, in Richtung Norden, beginnt das lang gestreckte Gelände des Stahl- und Walzwerkes von Rodingen, das sich bis an die französische Grenze erstreckt, wo auch die Schlackenmühle für Thomasmehldünger und die „Fonderie“, lies Giesserei, zu finden waren. Das Werk entwickelte sich also entlang der belgischen, bis an die französische Grenze, wo die Chiers oder zu Deutsch die Korn, noch heute als Grenzbach zu verstehen ist.

Hier möchte ich eine weitere sprach orientierte Klammer öffnen, die mich seit meinem Denkvermögen immer wieder beschäftigt hat, und worin es wiederum um die Schreibweise oder Aussprache der Namen von zwei Ortschaften geht.

Der Bach „Korn“ nennt man aufluxemburgisch „Koar“ oder „Kuer“ und auf französisch Chiers. Dieser Name wurde abgeleitet von dem lateinischen „Chara“. Meines Wissens ist dieser lateinische Stamm erhalten geblieben in dem Ortschaftsnamen Bascharage, an welcher die Korn vorbei fliesst. An der Quelle (dem Kuerspronk) nennt sich die Ortschaft Oberkorn und etwas weiter Bach abwärts befindet sich die Ortschaft Niederkorn, womit die Verzwicktheit der Namengebung zunimmt, denn Bascharage besteht aus (Bas/ Nieder und chara/Korn) was eigentlich auch soviel wie Niederkorn bedeutet,aber nur im Französischen, denn der deutsche Name derselben Ortschaft ist Niederkerschen!

Bis an den heutigen Tag, wo ich diesem Phänomen ein wenig auf den Grund gehe und ihn öffentlich beleuchten kann, zeigen die zuständigen Behörden wenigstens mir, mit welchem Intelligenzfaktor deren Beamten eingestuft werden können, besonders in puncto topografischer Kartierung. Da steht der Turm von Pisa noch schiefer als bisher. Anstelle den beiden erst genannten Ortschaften ihren original deutschen und geografischen Namen zu belassen, und ihn auch in französischen Texten mit „k“ zu gebrauchen und zu schreiben,gab man sich extrem chauvinistisch französisch und unterdrückte einfach das angeblich exklusive deutsche k, mit dem Hinweis, dass es ein „k“ in der französischen Sprache überhaupt nicht gäbe. Es ging also darum dieses „k“ durch ein französisches „c“zu ersetzen, sodass man heute noch an vielen öffentlichen Stadtschildern die falsch geschriebenen Ortsnamen Obercorn, und Niedercorn, lesen kann.

Dummerweise war und ist das geistige Niveau dieser Leute, die unbedingt ihre eher geile Neigung zum Französischen manifestieren wollten, komplett daneben. Nur ein Quäntchen Verstand hätte gereicht um sich zu vergewissern, dass es im Französischen wohl den Buchstaben „k“ gibt, den die Académie française im Littré als „onzième lettre de l’alphabet“bezeichnet, und der sich in vielen Wörtern wieder findet, wie in „kanguroo“,„kantisme“,„kaolin“, „kilomètre“sowie „kleptomanie“ und „kyste“ um nur einige zu erwähnen. Niemand kam auf eine andere mögliche Idee um die Übersetzungen Haute-Chiers oder Chiers-Basse einzuführen, was absolut in Ordnung gewesen wäre.Damit sei dieses öffentliche Bekenntnis von geistiger Unvollkommenheit eigentlich abgehackt. Die meisten Aushängeschilder der leider noch immer nicht korrigierten Geistesblitze befinden sich auch noch immer im Gebrauch.

Doch nun zurück zur Chiers in Rodange, wie sie auch dort geläufig genannt wurde. Sie war und ist heute noch zum grössten Teil am erwähnten Abschnitt eher eine Abwasserkloake, als ein Bach. Sie fliesst nämlich zwischen zwei Hüttenwerken und nimmt deren Abwässer auf. Wenn ich bedenke, dass es bereits Pläne gab, die Mosel bis hierher zu kanalisieren und dass hierfür schon einige Bauwerke errichtet wurden, dann kann ich aus der Sicht von heute nur noch den Kopf schütteln.

war die Trasse bereits bekannt. Sie sollte 51,6 km lang sein und von Rodingen aus über Petingen, Differdingen, Esch, Bettemburg, Aspelt, Ellingen, Bous bis nach Stadtbredimus an die Mosel führen. Angeschlossen sollten werden die Ortschaften Düdelingen und Rümelingen. Die höchste Höhe, die zu überwinden gewesen wäre, lag in Zolver, bei 300,93 Meter. Ausserdem sollten sogar 1800 Meter des Kanals unterirdisch verlaufen. (Diese Details stammen aus der regionalen Zeitschrift „De Kuerspronk“).

Nebenflüsse der Korn, die hier aus Belgien kommend einmünden, wie die meist nur knietiefe Messancy,sind dagegen noch mehr oder weniger saubere Fischgewässer, in und an denen wir Jungen sehr oft auftauchten. Besonders rundum den „Pont Noir“, gelegen zwischen Athus und Messancy, war unser Aktionsradius. Dies war ein herrlicherBachabschnitt der vom Rangierbahnhof von Athus überdeckt ist, aber von den Anrainern über eine längere Passerelle durchquert werden kann. Hier besorgte ich mir die Kleinfische, die bereits damals in Bütten oder anderen Behältern schwammen, die für mich in unserm Garten aufgestellt waren. Es waren dies Ellritzen, Bitterlinge, Stichlinge und auch die berühmten Goujons (Groppen), welche die Einheimischen mit der Essgabel fingen, die sie an eine Rute befestigt hatten. Die am Boden und unter Steinen versteckt lebenden Kleinfische wurden mit der Gabel regelrecht aufgespiesst. Was mich dabei am meisten schockte, war der anschliessende Verzehr des rohen Fisches. Dies ebenfalls zu versuchen habe ich mir nie getraut. Man durfte sie eigentlich nur schlucken, wenn sich deren Kopf nach vorne im Mund befand, denn die seitlich und nach oben abstehenden Dornen hätten sich unweigerlich irgendwo auf dem Weg in den Magen eingebohrt. Nicht dass ich mich ekelte, aber zusehen wie der kleine, aber noch zappelnde Fisch im Mund verschwindet und dann hinuntergewürgt wird, das bewegte mich zutiefst. Heute zweifele ich jedoch wieder ob ich nicht doch noch immer mit einem Bären auf dem Rücken herumlaufe und man die Fische, wie bei einem Zaubertrick, die Zuschauer täuschend, nur scheinbar mit schmatzendem Mund verschwinden liess.

Es gibt wahrscheinlich nur wenige Meter an diesem Bachabschnitt, die ich nicht barfuss durchwatet habe. Das mir vertraute Gelände erstreckte sich über nahezu einen Kilometer, vom Zentrum der Grenzortschaft Athus bis hinter den Bahnhof in Athus.

Meine erste wissenschaftliche Entdeckung machte ich eigentlich mit diesen Kleinfischen. Die Zinkwanne, und auch andere Behälter, die draussen in der Sonne standen, konnten unter dem im Freien angebrachten Wasserhahn immer wieder mit Frischwasser versorgt werden. Ein umgestülpter Blumentopf aus rotem Ton gebrannt, sowie einige Steine, erlaubten den Fischen sich zu verstecken. Puppen oder Eier von Ameisen aus dem Garten, Stubenfliegenund Stücke von Regenwürmern gehörten zum täglichen Speiseplan, der mir bis zum Winter zur Verfügung stand.Dann konnte ich folgende Beobachtung machen. Da das Wasser nur etwas 0,40 m tief war, froren die Fische manchmal über Wochen komplett ein, doch staunte ich, weil die Fische dabei keinesfalls eingingen. Nein, sie bewegten sich langsam, wie im Zeitraffer Tempo, dauernd hin und her und erzeugten so um sich selber eine eisfreie Zone. Sie lebten sozusagen auf Sparflamme. Ich erklärte mir dieses Phänomen, aber auch indem ich annahm, dass die schleimige Haut der Tiere ebenso dazu beitragen konnte, rundum sich selber das Wasser vor dem Gefrieren zu bewahren. Erst später, als ich ein Auto besass, brachte ich dieses Verhalten mit dem bekannten Antigel in Verbindung.Inzwischen ist diese Fähigkeit der Fische und mancher anderer Meerestiere, besonders bei Meeressäugern wissenschaftlich belegt. Ob bei meinen Beobachtungen ebenfalls Glykoproteinen mit im Spiel waren, wie das bekannterweise bei den Fischen im Polarmeer der Fall ist, wäre wohl eine interessante Studie für einen Doktoranden.

Kehren wir jedoch noch einmal zurück zum Eisenhüttenwerk und zu Ereignissen die sich, chronologisch gesehen, sehr früh in meinem Leben abgespielt haben.


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