Meconopsis

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Sekten (zeitgenössisch interessantes Dokument)

Die Symphonie kann beginnen

Sekten


In Oberkorn waren manche Mitglieder verschiedener Sekten sehr aktiv. Einmal die Zeugen Jehovas, dann die Neu Apostolischen. Am meisten interessierten nicht nur mich, die Zeugen Jehovas. Auch meine Klassenkameraden befassten sich intensiv mit diesen neuartigen Aposteln. Einer ihrer Anhänger war Pförtner im Direktionsgebäude der HADIR. Mit diesem Mann kam ich oft und manchmal sehr lange ins Gespräch. Es war verblüffend, wie dieser nicht ausgebildete Mensch Bibeltexte auswendig zitierte. Welchen Sinn er aber in diese Zitate hinein buchstabierte, das konnte ich solange nicht beurteilen bis ich mir die drei in Leder gebundenen Bibelbände der „Ecole biblique de Jérusalem“ gekauft hatte, welche ich mir alsdann gründlich zu Gemüte führte.Was zusätzlich lustig war an diesem Kauf, dass zu jener Zeit man noch darüber nachdenken musste, ob man als Katholik die Bibel lesen dürfe oder nicht. Das hat mich umso vorwitziger gemacht, denn ich konnte mir einfach nicht vorstellen warum man es einem gläubigen Christen nicht erlauben würde die Bibel seiner Religion zu lesen, oder sogar zu studieren. Ich betrachtete den diesbezüglichen Standpunkt der Kirche ziemlich kritisch und mit einem misstrauischen Blick. Ich fühlte mich als unmündig behandelt. Warum wollte man nicht, dass ein Gläubiger diese Schriften liest? Was war daran so geheimnisvoll? Es war zu jener Zeit dass mir manche gesellschaftspolitische Verhaltensregeln auffielen, weil sie darauf hindeuteten, wie Volksmassen zu behandeln sind. Irgendwo hatte ich bereits den Ausspruch gelesen: „Halte das Volk dumm, dann wirst du es beherrschen.“ Ich fragte mich ob diese Verhaltensweiseauch zur Praxis der Religionsobrigkeiten gehört?

Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass jeder der die Bibel liest, sich schnell eine eigene Meinung bildet und es dürfte auch bekannt sein, dass hierdurch manche glaubten in der falschen Vereinigung zu sein. Sie gründeten darauf hin eine eigene Sekte die eine abweichende Interpretation der Schriften verlangte. Dieser Spaltpilz war sicherlich eine der Hauptursachen eines generellen Verbotes.

Natürlich brachten mich die wenigen mir bis dahin bekannten Religionen sehr schön ins Strudeln. Diskussionen mit den mir bekannten Geistlichen ergaben, dass sogar diese selber im Seminar die Bibel nicht gelesen und noch viel weniger anhand der originalen Texte studiert haben. Jede Sekte behauptet von sich, den einzig wahren Glauben zu haben. Die Geschichte lehrte mich auch, dass vieles Leid in der Welt im Namen dieser sturen Haltung der verschiedenen Sekten und Religionen geschehen ist. Genau dieses Fach brachte mich in der Schule zur Verzweiflung.

Ich habe auch in nahezu jeder Klasse, Geschichtsunterricht gehabt. Jedes Schuljahr hatten wir ein anderes Lehrbuch. Jedes Jahr, auch für die meisten Kriegsgeschehen, eine nicht gleich lautende Auslegung, je nachdem welchen politischen Standpunkt der Autor des jeweiligen Geschichtsbuches vertrat. In diesem Lernfach spielte also bereits Politik eine beachtliche Rolle. Noch heute sind wir nicht sicher, ob man uns Lügen oder Wahrheiten oder nur Auslegungen vorgetragen hat. Nur die Verträge, die zu pauken waren, schienen ziemlich identisch zusammengefasst. Man hat uns aber kaum einmal wissen lassen, ob diese Verträge auch eingehalten wurden oder wie und wann sie gebrochen wurden. Das hätte diesem Lehrfach doch mehr praktischen Wert verliehen. Ich kann aber heute mit Fug behaupten, dass all diese Geschichtsstunden für mich glatt unnützes Zeug waren, weil niemand uns einGesamtbild der Völkergemeinschaft, der vielfältigen Nationen zeichnete. Schon damals war ich der Überzeugung, dass auch der nationale Stolz, also der Nationalismus ein nicht zu unterschätzendes Hindernis sei, für eine bessere Völker Verständigung. Ich habe mich immer ausschliesslich als Bürger dieser Erde betrachtet.

Es dauerte nicht einmal ein volles Jahr, dann hatte ich mir auch einen Koran gekauftm der in herrlichemLeder gebunden und mit goldenen Filigranzeichnungenverziert war. Ein Kleinod, das ich geradeso ehrfurchtsvoll wie die Bibel studierte. Der Talmud kam als nächstes Religionswerk hinzu. Das waren nur die Haupttexte die mich vorerst interessierten. Als dann im W. Kohlhammer Verlag die Herausgabe eines Sammelwerkes begann, das „Die Religionen der Menschheit“ behandelte, da machte ich einen Schritt der mir die Augen der Erkenntnis öffnete. Ich ging eine Subskription ein. Bis heute sind über 30 Bände erschienen und das Gesamtwerk ist noch nicht abgeschlossen.
Meine Anfrage beim Bischof, ob ich diese Bücher lesen dürfe, wurde gütig studiert und ich erhielt ein schriftliches Papier worin verbrieft war, dass es mir erlaubt sei diese Bücher zu kaufen und zu lesen.(Beigefügt das interessante Zeitdokument).

Der jetzige Bischof war übrigens als damaliger Kaplan mein sehr kameradschaftlicher Berater. Ich stieg alsdann unbesorgt mit allem Eifer ein in die Lektüre dieser Werke von Spezialisten aus aller Welt. Ganz besonders faszinierte mich der Band über die Erscheinungsformen und Wesen der Religionen. Es war natürlich erschwerend zu lesen, wenn Zitate ausgriechischen oder hebräischen Vorlagen den Text begleiteten. Zu gerne hätte ich diese Sprachen gelernt, aber einen Sprung in diese Richtung habe ich jedoch gewagt und habe mir die entsprechenden Wörterbücher, also Hebräisch und Griechisch gekauft, was mir aber nur sehr wenig weiter half.

Die Schöpfungsgeschichte hat natürlich seine Faszination auf mich ausgeübt und ich wollte unbedingt tiefer in die Welt des Vorderen Orients eindringen. Die Sumerer und die gerade im Zwischenstromland Mesopotamien gefundenen Tontafeln brachten wundersame Berichte und eigentlich auch Berichtigungen, die meine volle Aufmerksamkeit weckten. Allein das neue Verständnis bei den Übersetzungen der Urtexte schuf Verwirrung und doch Begeisterung. So leben die meisten Katholiken noch immer von der eher bildlichen Vorstellung die Frau sei aus der Rippe des Mannes geschaffen worden. Modernere Lesarten aber übersetzen heute die beiden Silben „Nin Ti“ nicht mehr mit …“die Frau aus der Rippe des Mannes“, sondern für jedermann verständlich: „Die Leben gebärende Frau“. Schade, dass man sich nicht bemüht diesen volksdümmlichen Unfug aus der Gedankenwelt zu schaffen.

In dieser bedeutenden Phase meines Erwachsenwerdens stiess ich auf Freud und die Psychologie. Das Marabout Taschenbuch „La Prodigieuse VictoireDe La Psychologie Moderne“ von Pierre Daco (1960) verschlang ich nahezu in einem Atemzug. Kurz darauf erschien der Titel: „Les Triomphes de La Psychanalyse“ (1965) von demselben Autoren. Diese beiden Bücher sprengten die Dimensionen meines Denkvermögens, ja es wurde nahezu revolutioniert. Ich versuchte auf einmal, in mich hinein zu horchen. Jetzt wurde mir erst bewusst, dass da drinnen etwas ablief, das ich unbedingt kontrollieren wollte. Jetzt merkte ich erst welche persönliche Gestik sich zum Beispiel im Laufe der Entwicklung eines jeden Menschen herausbildet. Ich lernte mich persönlich beobachten, mich kennen. Offen gestanden auf einmal war ich mir bewusst, dass ich diese Haut, diesen Kopf und seine Gedanken möglicherweise in den Griff bekommen konnte. Jetzt erst merkte ich wie erschreckend gross die allgemeine Unwissenheit eigentlich ist, was die eigene Psyche anbelangt. Bei jeder erweiterten Lektüre wurden auch die erweiterten Kenntnisse und Erkenntnisse angewendet. Psychologie und Religion gingen Hand in Hand. Ich wagte mich alsdann auch noch an die Werke der grossen Philosophen.Viele Bücher betreffend Psychologie und Psychoanalyse waren ab sofort vorrangig auf meinerBestellliste.All dieses gesammelte Wissenvermittelte mir ein komplett anderes, neues Verständnis, was das menschliche Wesen anbelangt. In welch hohem Masse diese Kenntnisse in unserer Familie bald eine Rolle spielen würden, merkte ich als meine Kinder sich ebenfalls für diese Welt des Wissens begeisterten und mein Sohn Mike sich entschloss das Psychologiefach zu studieren. Heute doziert er mit grossem Erfolg an der University of Illinois. Er betreibt wissenschaftliche Forschung auf weltweit höchster Ebene, weil er beim Studium unterwegs eingesehen hat, dass unbedingt die Mathematik hinzukommen muss, wegen deren wertvollen Hilfe, bei der Bewertung von statistischen Analysen. Die Psychologie, die im Anfang nicht zu den Wissenschaften gezählt werden konnte, kann heute nur über die Mathematik, zu einer wertvollen und genau wissenschaftlichenAussage kommen.

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