Meconopsis

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Kontakt mit den Amis

Die Symphonie kann beginnen

Kontakt mit den Amis.

Lange Autoschlangen, Panzerkolonnen, Jeeps und sonstiges, schweres Kriegsgerät rollte fast jeden Tag im Stopp and Go durch unsere Straße. Ein Ereignis, dessen ich mich heute noch schäme, fand statt auf dem Trittbrett eines Militär Lastwagens, der von zwei Militärs mit schwarzer Hautfarbe gefahren wurde.Die Autos standen oft im Stau. Natürlich nutzen wir diese Augenblicke um furchtlos auf das Trittbrett zu steigen und mit den Amis zu sprechen. Die wenigen Worte, die wir beherrschten reichten, zwar aus um uns einigermaßen verständlich zu machen und was nicht mit Sprechen gelang wurde in der Sprache der Taubstummen erläutert. Chewing Gum war wahrscheinlich das erste Wort, das wir perfekt beherrschten. Was war das doch eine begehrte Ware!! Sie hat sich bis heute gehalten. Leider wurde sie zum Markenzeichen der heutigen Jugend. Besonders im gebrauchten Zustand werden sie zum Ausdruck der unserer Jugend innewohnenden Ästhetik. Es gibt kaum noch öffentliche Plätze, die von dem ausgespuckten Unrat verschont bleiben. Meines Erachtens müsste diese Unsitte ab sofort mit einer Geldstraffe belegt werden, oder mit einem Sondereinsatz beim Straßensäubern. Ich habe in Shanghai erlebt wie mein Freund „Menn“ über die Kaimauer in den Ganges gespuckt hat, da waren bereits 2 Polizisten neben ihm und ermahnten ihn das nicht mehr zu tun. Einen anderen Reiseteilnehmer forderten sie mit strenger Miene auf den weggeworfenen Zigarettenstummel wieder aufzuheben und in die Tasche oder in den Abfallkanister zu werden. Nur so dürfte die verfehlte Erziehung der Eltern nachgebessert werden.
Schokolade folgte an zweiter Stelle bei unserm Geheische.Einer der mir sehr sympathisch gewordenen schwarzen Freunde zeigte mir eine Menge Taschentricks mit Spielkarten. Ich war dermaßen verblüfft, dass ich ihm meine Begeisterung ausdrücken wollte und so kam es dass ich mich unsterblich blamierte. Ich klopfte meinem neu gewonnenen Freund auf die Schulter und meinte ganz stolz in meinem kindlichenEnglisch: „You are an ass.“
Natürlich kam der Amerikaner damit nicht so richtig zurecht, konnte aber ganz sicher aus meiner Mimik lesen, dass ich etwas Vortreffliches und Lobenswertes sagen wollte. Noch heute ärgere ich mich über dieses Missgeschick, denn in unserm Sprachgebrauch bedeutet ein As zu sein, dass man wie bei den Spielkarten das Atout ist.Im amerikanischen aber mit zwei ss geschrieben,bedeutet dieses Wort der Superlative soviel wie Esel oder Dummkopf, kann sogar soviel wie Arsch sein. Erst später habe ich bei Wortgefechten die Ausdrucksweise gehört „Kiss my ass!“
Erst viel später in meinem Leben erfuhr ich, dass man nicht überall auf dem Globus mit dem Kopf nickt, um „Ja“ zu sagen. Es gibt Länder in denen dasselbe Kopfnicken genau das Gegenteil bedeutet, nämlich „Nein“. Einige Tibeterstämme begrüßen ankommende Fremde, indem sie Ihnen die Zunge herausstrecken. Bei diesem Volk bedeutet dies Freundschaft und nicht das, was wir unter herausgestreckter Zunge verstehen.
Zu unserer großen Überraschung wurde eine Einheit nahe unserer Wohnung in einem Tanzlokal einquartiert. Es handelte sich um eine technische Abteilung, die gleich hinter der Front Reparaturarbeiten an den Vehikeln ausführte. Natürlich hatten wir bald mit mehreren Soldaten Freundschaft geschlossen. Und als man von der Bevölkerung aus begann den Soldaten die notwendige Kleiderwäsche zu machen, da lagen wir natürlich unserer Mutter ständig auf dem Wecker und drängten sie ebenfalls solche Gefälligkeiten zu machen, zumal die Arbeit mit Viktualien belohnt wurde. Nachdem meine Mutter endlich nach langem Drängen unsererseits eingewilligt hatte, konnten wir die Marinesäcke von zwei lieb gewonnenen Amis mit nach Hause schleppen. Der eine hieß Paul F. Northam der aus Union, im Staate Michigan, stammte und der Name des anderenglaube ich mich zu erinnern. Er dürfte Ben Pershing geheissen haben und aus Wisconsin sein. Ich entsinne mich auch noch sehr genau, dass er ein Mitarbeiter von Walt Disney war und mitunwahrscheinlicher Fertigkeit uns die lustigsten Personnagen aus den Filmen von Walt Disney zeichnete. Wie groß war aber die Überraschung erst als ein gewisser Shoemaker sich plötzlich zu uns gesellte und mit uns in unserer Landessprache zu sprechen begann. Er selbst dachte er wäre noch immer in Frankreich, war aber hoch erfreut jetzt bereits mit Luxemburgern sprechen zu können und bald hatten wir mit Hilfe von Bekannten herausgefunden wo und in welcher Ortschaft nahe Verwandte von ihm wohnten. Leider war dies im Ösling, wo eben die Rundstedt Offensive begonnen hatte.
Als dieser unerwartete Vorstoß der Deutschen über den Norden unseres Landes zog, da mussten die Einwohner aller Ortschaften fliehen und so geschah die Evakuierungin umgekehrter Richtung als bei Kriegsbeginn. In unser Haus nahmen wir weitläufige Familienangehörige ausSchieren und aus Echternach auf, solange bis eine leer stehende Wohnung eines flüchtigen Luxemburger Mitläufers freigegeben wurde. Der Bäcker aus Schieren hatte natürlich reichlich Mehl, Butter und Margarine mitgebracht sowie auch eine Unmenge von Zigaretten aus seinem Geschäft. Eine Zigarettenmarke, die heute nicht mehr bekannt ist: „Cachet bleu“. Weil die Zigaretten und überhaupt der Tabak rationiert waren, hatte man schnell mit der Zigarettenmarke einen Kalauer in Umlauf gebracht: „Cachet donnez moi“.
Als das Militär dann auch noch die Schulen und sogar das alte Spital belegen musste, wurde natürlich auch unsere Schulausbildung kräftig gestört und ich musste ab sofort nahe der belgischen Grenze in einem Privathaus zur Schule gehen.
Amerikaner hatten ihre Feldküche einige Häuser neben dem unsrigen, in einem Wirtshaus mit Tanzsaal eingerichtet. Dort wurden die Mahlzeiten wie in einem Hotel zubereitet und da hatten wir bald wieder unsere Hände voll im Spiel. Die Säcke gefüllt mit gemahlenem Kaffee, der im kochenden Wasser gebrüht wurde, gab nach dem Essen der Mannschaft eine reiche Ausbeute frei. Dieser noch nicht komplett ausgelaugte Kaffeesatz wurde aufschwarzen Tortenpfannen aus Blech im Küchenherd getrocknet und an die Nachbarschaft verteilt. Anscheinend ein wahrer Genuss, den wir nicht selber prüfen konnten, denn wir Buben durften noch nicht ran an diese Spezialität. Wir tranken nur aufbereitete Chicorée, von der Marke Kornfrank. Übrigens kann ich hier einfügen, dass diese Kaffeeersatzmarke schöne Bilder von der Olympiade aus dem Jahr 1936 als Sammelobjekte anbot. Mein Bruder hatte im Laufe der Zeit das komplette Album zusammen gesammelt oder getauscht.
Die Milchdosen, die anhand von zwei gezielten Schlägen mit einem Fleischerbeil geöffnet und dann in eine große Wanne geleert wurden, enthielten immer noch Restmilch. Das war normal, denn die beiden Löcher befanden sich nicht immer nahe am Rande der Büchse und so blieb fast immer ein Rest, zumal es eine ziemlich doofe Arbeit war diese Büchsen zu entleeren, und zwar indem man in jeder Hand eine hielt.Es geschah auch, dass dabei eine Büchse schneller leer wurde, dann rangierte der Diensthabende dennoch beide Büchsen gleichzeitig, schön geordnet in die ehemalige Sammelverpackung, die sich alsdann sofort und leicht nach Hause tragen lies. Auch diese Milchkisten wurde also nach Hause geschafft und mit dem herrlichen Weißmehl, was ebenfalls anfiel zu Torten, Kuchen oder Kleines Gebäck verarbeitet. Sogar Teichreste, sowie Dutzende von bereits aufgeklopften Eiern schleppten wir nach Hause und unsere Mutter wurde nicht fertig all diese Waren zu verarbeiten, also fand sich bald die ganze Nachbarschaft in unserm Kellerraum ein, um an den ergatterten nahezu paradiesischen Genüssen teilzunehmen. Auch andere Esswaren, sowie übrig gebliebenes Obst und Gemüse fanden den gleichen Weg in unsere Verteilerstätte. Komischerweise kann ich nicht sagen, dass jemand versuchte, uns diese Monopolstellung streitig zu machen.
Unsere Mutter forschte währenddessen in ihrem Umkreis, ob sie sich als Wäschemacherin anbieten dürfe oder nicht, da sie glaubte sie käme dadurch in Verruf, weil mein Vater nicht zuhause war. Doch bis Weihnachten hatten wir es geschafft. Wir schleppten Wäschesäcke herbei und wieder zurück. Die beiden Amerikaner wurden alsdann zum festlichen Weihnachtsmahl eingeladen. Natürlich hatten sie sofort eingewilligt und die Taktik meiner Mutter beruhte darauf, dass es eben zwei Soldaten sein sollten. In ihrer Naivität dachte sie der eine würde schon auf den anderen aufpassen, damit die Kirche im Dorf bliebe und draußen keinesfalls der Eindruck entstehen konnte da wäre etwas, für den Dorfklatsch.
Mein Bruder beherrschte die englische Sprache etwas besser als ich und Paul Northam konnte auch manchen uns nicht bekannten Ausdruck aus demDeutschen verstehen oder selber zum Ausdruck bringen. Es wurde für die Amerikaner ein festlicher Abend in häuslichem Kreis, endlich wieder einmal auf sauberem Keramikteller Hausmannskost zu genießen. Natürlich hatten sie manche Geschenke mitgebracht. Ich kann nur sagen, dass sich eine rege Freundschaft entwickelte. Doch der Winter war hart und diese Kompanie, obschon nur als Reparaturkolonne vorgesehen, musste plötzlich auch zur Entlastungen der Kämpfer in Bastogne eingesetzt werden und es fiel uns Jungen ganz besondersauf, wenn die Zurückkommenden aschgrau im Gesicht und nahezu sprachlos und zu keinem unserer Späße aufgelegt waren. Manche Schlafstelle im großen Tanzsaal blieb dann leer. Entweder war der Besitzer umgekommen oder in ärztlicher Behandlung.
Als die Rundstedtoffensive zusammengebrochen war, kam der Tag, an dem wir Abschied nehmen mussten. Diese Kompanie rückte hinter der Frontlinie weiter, hinein nach Deutschland. Und so kam es, dass wir lange nichts mehr von unserm Amerikaner gehört und gesehen haben. Inzwischen hatten wir aber andere Hoflieferanten gefunden und auch deren Wäschesäcke schleppten wir hin und her.
Doch nachdem mein Vater wieder zuhause angekommen war, da überraschte uns Paul Northam einmal und besuchte uns. Mein Vater konnte noch vieles in englischer Sprache artikulieren, da er ja bereits im Krieg 1914-1918 mit den Amerikanern zusammengelebt hatte.
nachdem der Krieg vorüber war, erhielten wir Korrespondenz von Paul Northam und auch von Ben Pershing. Sie hatten alle beide den Krieg überlebt. Die Verbindung zu beiden Amerikanernreduzierte sich auf alljährliche Neujahrgrüße doch im Mai 1990 meldete sich Paul, dass er nach Luxemburg kommen wolle, um hier seine alten Freunde wieder zu finden. Auch die Eltern von meinem Kollegen Alois Schoos aus Rodingen hatten Paul manchmal zum Essen eingeladen und so wollte er auch unbedingt wieder bei dieser Familie vorbeischauen.
Das Wiedersehen musste gefeiert werden, aber auch manchen Ort, den Paul während des Krieges gesehen hatte, wollte er wieder einmal besuchen. So fuhren wir auch nach Bastogne um das Mardasson zu sehen, das Denkmal an die Gefallenen dieses unmenschlichen Krieges. Auch sahen wir uns den Film an. Lois, die Frau von Paul, war entsetzt beim Anblick dieser schrecklichen Bilder und meinte anschließend: „Wenn ich gewusst hätte, dass du in so einer Gefahr gelebt hättest, dann wäre ich vor Angst umgekommen“. Wir besuchten, auf Wunsch von Lois, auch die schöne Stadt Bruges, besonders weil diese ihr als Stadt bekannt war, wo man das Klöppeln erlernen und zusehen kann, wie gearbeitet wird.
Ein anderer Ort in unserm Land, den Paul unbedingt in Friedenszeiten sehen wollte, war Clerf. Dort zeigte er uns bis wohin er in der Rundstedtoffensive mit seinen Leuten vorgedrungen war und von aus die deutschen Truppen beschossen wurden.
Es war der Wunsch gewesen von Paul Northam, nach dem Tode seiner Frau noch einmal unserer Familie zu begegnen. Anlässlich meiner Kanadareise hatten wir bereits gemeint ein Treffen möglich zu machen und zwar in Montreal. Daraus wurde aber leider nichts. Dann dachte er es sollte uns möglich werden anlässlich eines Besuches bei unserem Sohn, der in Illinois wohnt, einen Abstecher zu machen. In einem seiner letzten Briefe mahnte er uns nicht länger warten zuwollen, da er das Nahen seines Todes ahnte.
Nach seinem Kurzbesuch in Luxemburg fuhren wir gemeinsam in meinem Wagen in die Schweiz, wo ich ihnen verschiedene interessante Reisevorschläge gemacht hatte und anschliessend haben sie dann auch Norwegen besucht. Seine Frau Lois starb am 7 Januar 1995. Paul Hertel, sein Enkelkind, der Lehrer für Zierpflanzenbau und Biologie in Indiana geworden ist, teilte mir im Februar 2000 mit, dass Paul F. Northam bereits im Juli 1999 an einer Grippe gestorben war und er jetzt erst in den Papieren seines Großvaters unseren letzten Brief gefunden habe.
Die Zeit mit den amerikanischen Besatzungstruppen in Rodingen brachte noch viele andere Kontakte und interessante Begegnungen. Nur eine eher spaßige Episode aus dieser Zeit möchte ich hier noch hinzufügen.

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